Peetz, Monika by Die Dienstagsfrauen

Peetz, Monika by Die Dienstagsfrauen

Autor:Die Dienstagsfrauen [Dienstagsfrauen, Die]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-12-25T14:26:27.348000+00:00


Estelle hatte den kritischen Punkt erreicht: Nach hundertfünfzig Kilometern Quälerei war sie restlos mürbe und zu jeder Konzession bereit, die sie von Yves' unsäglicher Erfindung befreite. »Die richtige Ausrüstung ist alles«, hatte Caroline im Vorfeld gepredigt. Estelle brauchte eine Reihe von Tagen, um zu erkennen, dass die wichtigsten Dinge, die sie nötig hatte, um es nach Lourdes zu schaffen, nicht in ihren Koffer passten: Geduld, Durchhaltevermögen und blasenfreie Hände.

Sich einfach von den Dingen trennen konnte und mochte sie nicht. Die Arbeiterinnen auf dem Feld kamen ihr gerade recht. Die beiden Frauen sahen ungläubig zu, wie Estelle erst den Koffer, dann sich selbst über den Zaun hievte. Wäre vor ihren Augen ein Ufo gelandet, hätten sie kaum verwunderter aus der Wäsche geguckt.

Hatte sich Caroline noch durch das Sprachengewirr manövrieren können, setzte Estelle auf die Tat. Sie drückte den Frauen all das in die Hände, was sie glaubte, entbehren zu können. Lebewohl Insektenstift, auf Wiedersehen Augenmaske und Make-up. Tschüss, du blöder Koffer. Bei ihrem konsequenten Alles-muss-raus stieß sie unweigerlich auf die Papiere mit den Informationen über die Restaurants der Gegend. Nein, so weit runtergekommen war sie noch nicht. Sie hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Pilgern nicht nur Darben und Entbehrung war. Vielleicht konnte sie die Freundinnen überzeugen, dass eine feudale Mahlzeit in einem exklusiven Restaurant eine Art Gottesdienst war. Auch wenn man dafür einen Umweg in Kauf nehmen musste.

Skeptisch begutachteten die Feldarbeiterinnen Tiegel und Tuben, Cremes und Augenmaske. Ganz offensichtlich hielten sie Estelle für eine Avon-Beraterin, die mit ihrem Musterkoffer durch die Provinz tingelte. Es bedurfte hektischen Gestikulierens, bis sie erkannten, dass sie alles behalten durften. Gratis. Und ohne weitere Kaufverpflichtung. Die Arbeiterinnen bekreuzigten sich. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass der Lohn Gottes sich so unmittelbar materialisierte. Die Botschaft Mariens, Gläubige erst in einer anderen Welt glücklich zu machen, erwies sich an diesem Tag als leere Drohung.



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